Das höhere Mädchenschulwesen und das Frauenstudium in Preußen in der Ära Althoff
Auf dem Weg zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland stellt das Jahr 1908 eine besonders wichtige Wegmarke dar. Mit dem Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes verlor das Preußische Vereinsgesetz seine Gültigkeit, das Frauen die politische Betätigung in Vereinen und Versammlungen untersagte. In Preußen wurde zudem die höhere Schulausbildung für Mädchen nach einem langen Kampf der Frauen- und Lehrerinnenbewegung reformiert und erstmals in eine verbindliche, staatlich geordnete Form gegossen und der Zugang zu den Universitäten geregelt. Mit der Reifeprüfung wurde endlich auch die Voraussetzung für ein reguläres Studium der Frauen geschaffen. Einige deutsche Staaten hatten diese Regelungen früher eingeführt, die anderen Länder zogen bald nach. Das Abitur für Mädchen und die Immatrikulation an den Universitäten sollten das Erwerbsleben und die Rollenzuschreibungen von Frauen nachhaltig verändern.
Die zentralen Weichenstellungen für die Reform des höheren Mädchenschulwesens in Preußen erfolgten während der sogenannten Januar-Konferenz von 1906 unter der sachkundigen Leitung des Ministerialdirektors Friedrich Althoff.
Die höheren Töchter- und Mädchenschulen in Preußen im 19. Jahrhundert
Nachdem es in Preußen gelungen war, die allgemeine Schulpflicht für Jungen und Mädchen umzusetzen, wurden die Kinder überwiegend gemeinsam unterrichtet; eine Trennung nach Geschlechtern wurde in der Regel nur in den großen Städten vorgenommen. Im Kaiserreich besuchten die meisten Kinder die Volksschulen, dies galt auch für mehr als 90 Prozent der Mädchen.
Für die Töchter der gehobenen Schichten gab es in den Städten- damit sind keineswegs nur Großstädte gemeint - die Möglichkeit, eine in der Regel kostenpflichtige höhere Töchter – oder Mädchenschule etwa bis zum 15.oder 16. Lebensjahr zu besuchen. Die Bezeichnung dieser Schulen lässt keine Rückschlüsse auf das Bildungsniveau zu, sondern bezieht sich nur auf die Herkunft der Schülerinnen. Mädchen aus der Oberschicht wurden vielfach privat unterrichtet oder besuchten die exklusiven Pensionate und Privatschulen, teilweise auch im Ausland.
Der größte Teil der höheren Mädchenschulen befand sich in privater Trägerschaft. Die Bandbreite der privaten und öffentlichen Schulen für Mädchen war sehr groß. Es gab Ordensschulen, Pensionate, gewerblich geführte Einrichtungen aber auch städtische oder staatliche Mädchenschulen, teilweise mit angegliederten Lehrerinnenseminaren. Lediglich die Lehrerinnenseminare boten einen weitergehenden Bildungsabschluss und ermöglichten jungen Frauen eine gesellschaftlich akzeptierte Erwerbstätigkeit –allerdings nur bis zur Heirat, denn nur unverheiratete Frauen konnten als Lehrerin tätig sein.
Im 19. Jahrhundert gab es an den preußischen höheren Mädchenschulen keine Möglichkeit, regulär das Abitur abzulegen und damit die Voraussetzungen für ein Universitätsstudium zu erwerben. Nur in Ausnahmefällen konnten Mädchen als Externe an höheren Jungenschulen die Reifeprüfung ablegen.
Im Unterschied zu den höheren Knabenschulen, die unter bestimmten Voraussetzungen amtlich anerkannt wurden und zur Hochschulzulassung berechtigten, fehlte den höheren Mädchenschulen eine zum Abitur führende „Oberstufe“. Auch die vermittelte geschlechtsspezifische Allgemeinbildung war von höchst unterschiedlicher Qualität. Die Mädchen sollten vor allem für ihre künftige Aufgaben als Hausfrauen und Müttern ausgebildet werden, deshalb beschränkte sich der Unterricht vielfach auf eine sogenannte „Halb-oder Salonbildung“ wie Literatur, Religion, Handarbeiten, Konversation, den Grundkenntnissen von ein oder zwei modernen Fremdsprachen und ein wenig Rechnen. Naturwissenschaften, Mathematik und die klassischen Sprachen spielten kaum eine Rolle; eine Vorbereitung auf eine eigenständige Berufstätigkeit war gänzlich ausgeschlossen.
Während das Schulsystem der höheren Jungenschulen bis zur Jahrhundertwende grundlegend neu geordnet wurde, gab es für die Mädchenschulen kaum Vorgaben zur Struktur oder den Inhalten. Nicht einmal die Anzahl der Klassen oder die Ausbildung der Lehrer oder Lehrerinnen waren festgelegt. Für die Eltern gab es große Einflussmöglichkeiten; die Töchter konnten durchaus auch einmal für einen längeren Zeitraum beurlaubt werden.
Die Schriftstellerin Hedwig Dohm, die ihrer Zeit mit der Forderung nach vollkommener Gleichstellung für beide Geschlechter weit voraus war, schrieb 1872 über die Bildungschancen der privaten höheren Mädchenschulen:
„Ich habe zufällig mein Lehrerinnenexamen gemacht und kann .. die positivste Versicherung geben, dass, etwa 30 Gesangbuchlieder und eine entsprechende Anzahl Bibelsprüche abgerechnet, mein Wissen das Maß gewöhnlicher Elementarkenntnisse kaum überstieg und schwerlich den Bildungsstand eines Quartaners auf einem Gymnasium erreichte. Trotzdem war auf meinem Zeugnis zu lesen, dass ich zum Unterricht wohl befähigt sei.“
Als Fünfzehnjährige musste sie die Schule verlassen und sich in das Schicksal der "höheren Tochter" fügen, die Mutter im großen Haushalt unterstützten und bei sinnlosen Handarbeiten auf einen Ehemann warten. Sie fragte sich: "Warum musste ich heimlich, als wär's ein Verbrechen, lesen? Warum durfte ich nichts lernen? Meine Brüder wollten und mochten nichts lernen und wurden dazu gezwungen." Immerhin konnte die wissbegierige junge Frau den Besuch eines Lehrerinnenseminars durchsetzen.
Anders als die Jungenschulen standen die Mädchenschulen auch nicht im Fokus der Administration. Während die Jungenschulen, die auch auf bestimmte Berufslaufbahnen vorbereiteten, kontinuierlich Gegenstand staatlicher Schulpolitik waren, blieben die Mädchenschulen weitgehend privaten und kommunalen Initiativen überlassen.
Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass bis Anfang des 20. Jahrhunderts die höheren Mädchenschulen für die Bildungsverwaltung keine höheren Lehranstalten waren, sondern Teil des niederen, nicht berechtigenden Schulwesens. Somit lagen diese Einrichtungen auch nicht im Zuständigkeitsbereich Althoffs, der das preußische Universitätswesen leitete.
Friedrich Althoff hatte sich allerdings schon vor der Jahrhundertwende in seinem Ressort mit einer zentralen Forderung der Frauenbewegung auseinandergesetzt: Mit Nachdruck wurde die Öffnung der Universitäten für Frauen gefordert. Preußen verweigerte den Frauen nicht nur das Abitur, sondern auch ein reguläres Studium. Im deutschen Sprachraum waren die Schweiz (in Zürich seit 1864 zunächst im Fach Medizin) und einige süddeutsche Staaten(z.B. Baden seit 1900) deutlich fortschrittlicher; hier konnten sich Frauen immatrikulieren und auch die erforderlichen Prüfungen ablegen.