Im Kultusministerium diente Althoff nacheinander unter fünf Ministern – sie alle mussten, wie es Sachse treffend formuliert hat, diesen außergewöhnlichen Mann „ertragen“, der so wenig von einem beflissenen Untergebenen an sich hatte, obwohl er sich an die gegenüber Dienstvorgesetzten geltende Etikette unbestreitbar hielt. In den letzten Jahren seiner Tätigkeit war seine Ausnahmestellung auch von außen zu erkennen. Seit 1904 trug er das Prädikat „Exzellenz“ und war damit berechtigt, dem König direkt Vortrag zu halten, ohne dafür die Zustimmung seines Ministers einholen zu müssen. Bei Sachse lesen wir auch: „Als er einmal gefragt wurde, wie sich die verschiedenen Kultusminister mit seiner besonderen und eigenartigen Stellung im Ministerium und mit dem direkten Vortrage beim Kaiser abfinden konnten, meinte er, daß die Minister immer erst beruhigt gewesen wären, wenn sie die Überzeugung gewonnen hatten, daß er nicht Minister werden wollte“.

Viele Wissenschaftler der unterschiedlichsten Fachgebiete wissen mit dem Namen Althoff auch heute noch etwas anzufangen. Die Namen seiner Minister aber kennen fast nur noch Fachhistoriker; es ist unverkennbar, dass er alle fünf bei Weitem überragte. Das Kompetenzgefälle zwischen Spitzenbeamten und Ministern, das gegenläufig zum formalen Unterstellungsverhältnis bestand, gründete sich allerdings nicht nur und vielleicht nicht einmal in erster Linie auf den Zufall individueller Begabungsunterschiede. In staatlichen Verwaltungen, die mit Lebenszeitbeamten arbeiten, wird es auch institutionell begünstigt. Die Minister kommen und gehen mit dem Wechsel der politischen Mehrheitsverhältnisse – die Beamten aber bleiben, im Idealfall bis zum Erreichen des Pensionsalters. Während ein Minister in der ihm unterstellten Behörde so nur eine begrenzte Kompetenz erwerben kann, wächst die Insiderkenntnis eines Ministerialbeamten von Jahr zu Jahr. Für die Durchsetzung der preußischen Kultur- und Wissenschaftspolitik „wichtiger als die wechselnden Minister war die Kontinuität der unter ihnen agierenden Ministerialbeamten“ (vom Brocke).

Einer der Vorgänger Althoffs hatte hier Maßstäbe gesetzt: der Altphilologe Johannes Schulze, der 1818 auf Veranlassung Hardenbergs in das kurz zuvor gegründete Kultusministerium berufen worden war und erst Ende 1858 seinen Abschied nahm. Auf vierzig Dienstjahre hat es Althoff nicht gebracht, aber gewisse Ähnlichkeiten hatten die Laufbahnen der beiden Beamten durchaus. Schulze war zunächst für die höheren Schulen, später auch für die Universitäten zuständig, und ab 1849 leitete er als Direktor die Unterrichtsabteilung. In seiner sprichwörtlichen Beharrlichkeit und seinem beeindruckenden Durchsetzungsvermögen – Alexander von Humboldt nannte ihn deshalb „Dampfmaschine“ oder auch „Lokomotive“ – nahm er Wesenszüge Althoffs vorweg.

Wenn einer der fünf Minister für Althoff noch im echten Sinn ein Vorgesetzter sein konnte, dann war es der erste, der mit einem vollen Jahrzehnt auch am längsten blieb: Gustav von Goßler, der sein Amt ein Jahr vor Althoffs Übergang nach Berlin angetreten hatte und diesen in die Welt des Ministeriums einführte. Er war ein Mann aus dem preußischen Dienstadel – der Vater war Kanzler des Königreichs, die Mutter Tochter eines Justizministers, ein Bruder wurde Kriegsminister, zwei weitere erreichten hohe Generalsränge. Goßler war es, der Althoff für Berlin gewann und mit ihm die Verhandlungen über seinen Eintritt in das Ministerium führte. Intern soll er über Althoff gesagt haben: „Sehr unbequem, aber außerordentlich tüchtig“. In einer offiziellen Beurteilung formulierte er es so: „Jeder Chef der preußischen Unterrichtsverwaltung wird sich glücklich schätzen, einen so treuen Berater von bewährtem Charakter und erprobter Lauterkeit der Gesinnung in so schwieriger Stellung zu seinen Mitarbeitern zu zählen…“ Umgekehrt schätzte Althoff, wie Sachse erwähnt, Goßler „als hervorragend tüchtig, er sah ihn als den begabtesten der Minister, unter denen er tätig gewesen, an, aber er machte ihm den Vorwurf, daß er sich gern als Verdienst angerechnet hätte, was anderen gehört habe…“ Postum teilten sich beide das Privileg, in den 1922 erschienenen Memoiren des abgedankten Kaisers und Königs Wilhelm II. lobend erwähnt zu werden – Goßler als einziger seiner Kultusminister, Althoff als einziger seiner höheren Beamten.

Goßlers Nachfolger Robert Graf von Zedlitz und Trützschler gab von 1891 bis 1892 nur eine kurze Gastrolle als Kultusminister; seine Absicht, einen Konfessionalisierungsschub der Volksschule durchzusetzen, fand nicht die Billigung des Königs, so dass er zurücktreten musste. Doch so konservativ er auch als Politiker gewesen sein mag, so menschlich lauter war sein Verhältnis zu Althoff, der über ihn geäußert haben soll: „verehrungswürdig als Minister und Mensch; schade, daß er gehen mußte!“ Als Althoff 1901 unter einer Kampagne bösartiger öffentlicher Angriffe zu leiden hatte, versicherte ihn Zedlitz – damals schon längst nicht mehr Minister – in einem Brief vom 2. 12. 1901 seiner moralischen Unterstützung. Er rechne es sich zur Pflicht und Ehre, „in dieser Zeit ungerechter Anfechtung an Ihre Seite zu treten“. Seinen früheren Untergebenen habe er „gerade um Ihrer unentwegten, vorbildlichen Objektivität, Ihres herzerquickenden Gefühls für Gerechtigkeit und Ihrer nur sachlichen, immer auf das innere ideale Wesen der Unterrichtsverwaltung gerichteten Art der Geschäftsbehandlung schätzen und verehren gelernt“.

Hubert Laitko

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