Seit 1901 werden – in der Regel alljährlich – die Nobelpreise verliehen, nach den testamentarischen Festlegungen ihres Stifters, des schwedischen Technikers und Industriellen Alfred Nobel, dessen Namen sie tragen. Auf jenen Gebieten, für die sie vergeben werden, gelten sie als die höchsten wissenschaftlichen Auszeichnungen überhaupt. Ihre Faszination ist ungebrochen. Auch in der breiteren Öffentlichkeit wird die Bekanntgabe der neuen Preisträger durch das Nobelkomitee in jedem Jahr mit Spannung erwartet, und die feierliche Übergabe der Urkunden ist ein großer Feiertag für die Weltwissenschaft.

Von 1901 bis 1914 war das deutsche Kaiserreich dasjenige Land, auf das der mit Abstand größte Anteil der wissenschaftlichen Nobelpreise entfiel; es waren insgesamt 16 – die schärfsten Konkurrenten Frankreich (10) und England (5) rangierten deutlich dahinter. Die meisten der 16 deutschen Preisträger standen zumindest zeitweilig in mehr oder minder engen Beziehungen zu Althoff. Manche waren von ihm gefördert worden, manche zählten zu seinen Ratgebern und Vertrauten, für manche traf auch beides zu. Dies soll mit einem Blick auf die ersten beiden Nobelpreisjahre 1901 und 1902 an wenigen Beispielen veranschaulicht werden; eine Gesamtschau würde zu viel Raum erfordern. Hier verzeichnen die Annalen vier deutsche Laureaten: Emil von Behring (Medizin oder Physiologie, 1901), Wilhelm Conrad Röntgen (Physik, 1901), Emil Fischer (Chemie, 1902) und Theodor Mommsen (Literatur, 1902). Röntgen, dessen Ruhm auf der Entdeckung der nach ihm benannten Strahlen beruhte, war der einzige dieser vier, dessen gänzlich an außerpreußischen Universitäten absolvierte Laufbahn keine nennenswerten Spuren der Wirksamkeit Althoffs aufweist. Die drei anderen hatten mit Althoff mehr als nur marginal zu tun. Von Fischer, seinem wichtigsten Gewährsmann auf dem Feld der organischen Chemie, war schon an anderer Stelle die Rede. Behrings und Mommsens Bezüge zu Althoff sollen in knappen Strichen skizziert werden.

Behring war ein ausgesprochener Protegé Althoffs. Ohne dessen indirekte und direkte Förderung wäre aus dem jungen, an der Erforschung und Bekämpfung der Infektionskrankheiten interessierten Militärarzt schwerlich der allerorten bewunderte „Retter der Kinder“ geworden, als der er den Reigen der Medizin-Nobelpreisträger eröffnete. Ihm gebührte der Löwenanteil an der Entwicklung der Serumtherapie gegen Diphtherie, der ersten wirksamen Methode zur Behandlung dieser schrecklichen, immer wieder in Epidemien aufflammenden Krankheit, die vor allem Kinder zu Zehntausenden dahinraffte und der man bis dahin hilflos ausgeliefert war. 1889 wurde er zu Fortbildungs- und Forschungszwecken an Robert Kochs Berliner Hygieneinstitut abkommandiert und wechselte 1891 mit diesem an dessen neu errichtetes Institut für Infektionskrankheiten. Bis hierher kann man von einer indirekten Förderung Behrings durch Althoff sprechen, denn sein wissenschaftlicher Vorgesetzter Koch hätte weder das eine noch das andere Institut erhalten, wenn nicht beide von dem Berliner Hochschulreferenten unter schwierigen Umständen durchgesetzt worden wären. Unter Koch schuf Behring die ersten beiden brauchbaren Heilseren – jenes gegen Diphtherie gemeinsam mit seinem Studienfreund Erich Wernicke und jenes gegen Wundstarrkrampf (Tetanus) zusammen mit dem japanischen Gastwissenschaftler Shibasaburo Kitasato. Durch Behrings 1892 vor der Berliner Physiologischen Gesellschaft über das Tetanusserum gehaltenen Vortrag wurde Althoff auf ihn aufmerksam und begann ihn gezielt zu fördern. Als sich Behring mit Koch überworfen hatte und nicht länger unter dessen Leitung arbeiten wollte – beide waren schwierige Charaktere, und der Umgang mit ihnen verlangte Fingerspitzengefühl –, verschaffte ihm Althoff nach einem Intermezzo an der Universität Halle 1895 ein Ordinariat in Marburg. Überdies vermittelte er ihm einen Vertrag mit den Farbwerken Hoechst, der diesen die Serumproduktion nach Behring gestattete; im Gegenzug finanzierte Hoechst dem Forscher ein privates Forschungsinstitut, aus dem später das Marburger Behring-Werk hervorging. So konnte Behring am 6. November 1895 dankbar an seinen Förderer schreiben: „…unabhängig davon, was die Zukunft bringen mag, werde ich Sie stets als meinen Wohltäter betrachten, der aus unerquicklichster Zwitterstellung in Berlin mich gerettet hat und eine gesellschaftliche Position mir verschaffte“.

Ganz anders, doch nicht weniger aufschlussreich gestaltete sich Althoffs Verhältnis zu Mommsen. Während er die Entwicklung des rund anderthalb Jahrzehnte jüngeren Behring an entscheidenden Stellen seiner Laufbahn voranbringen konnte, war der 25 Jahre ältere Mommsen, als Althoff seinen Dienst im Kultusministerium antrat, längst eine international anerkannte und im deutschen Wissenschaftsgefüge bestens etablierte und vielfältig vernetzte Autorität. Seine kapitale Römische Geschichte, für die er den Nobelpreis als „größter lebender Meister der historischen Darstellung“ erhielt, war ohne Althoffs Zutun entstanden; die ersten drei Bände wurden bereits in den 1850er Jahren geschrieben. Ausnahmsweise wurde hier, weil Nobel keinen Preis für geisteswissenschaftliche Arbeiten vorgesehen hatte, eine wissenschaftliche Leistung mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

Althoff wusste um den enormen wissenschaftsstrategischen Einfluss, den Mommsen als einer der vier Sekretare der Preußischen Akademie der Wissenschaften (1874 – 1895) und Doyen der Altertumswissenschaften in Berlin besaß, und zögerte nicht, mit ihm Verbindung aufzunehmen, sobald er seinen Fuß auf hauptstädtischen Boden gesetzt hatte. Am 21. 10. 1882 trat er seinen Dienst an, am 8. 11. stellte er Kontakt zu Mommsen her, am 13. 12. fand ihre erste persönliche Begegnung im Kultusministerium statt. Die Daten kennen wir aus der umfangreichen Dokumentenedition Theodor Mommsen und Friedrich Althoff, Briefwechsel 1882 – 1903, die Stefan Rebenich, Professor für Alte Geschichte an der Universität Bern und nicht zuletzt auch Vortragender bei der Eröffnung des Dinslakener Althoff-Jahres am 19. Februar 2014, zusammen mit Gisa Franke 2012 veröffentlicht hat. Dieses gediegene Werk, das fast 700 Schriftstücke enthält, bedeutet einen Markstein in der Althoff-Forschung, es ist die bisher umfassendste Edition eines Briefwechsels zwischen Althoff und einer einzelnen Wissenschaftlerpersönlichkeit. Die im Wesentlichen wissenschaftsorganisatorischen Problemen und Projekten gewidmete Korrespondenz spiegelt eine langjährige Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die laut Rebenich „symbiotischen Charakter“ trug. Mommsen hatte als Akademiesekretar immer wieder Bedarf an ministerieller Unterstützung, und Althoff machte sich Mommsens Expertise und Einfluss zunutze, um seine langfristigen Pläne voranzutreiben. In den Briefen wird eine enorme Bandbreite von Themen berührt. Es ist unmöglich, sie hier auch nur anzudeuten.

Für die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes und seinen Stand im internationalen Vergleich ist die Anzahl seiner Nobelpreisträger ein aussagekräftiges Indiz. Es versteht sich von selbst, dass Althoff die Einführung dieses Preises aufmerksam verfolgte. Gleich im ersten Jahrgang der von ihm begründeten und von Paul Hinneberg redigierten Internationalen Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, die seit 1907 erschien, ließ er einen Aufsatz über Alfred Nobel aus der Feder des schwedischen Physikochemikers Svante Arrhenius (Nobelpreis 1903) und eine Übersicht über die Geschichte der Nobelstiftung veröffentlichen. Für uns heute ist das überragende Prestige des Nobelpreises selbstverständlich, doch das war es nicht von vornherein. Elisabeth Crawford und John L. Heilbron machten darauf aufmerksam, dass die ungewöhnliche Höhe des Preisgeldes dafür allenfalls eine notwendige, keineswegs aber eine hinreichende Bedingung gewesen sei und dass es entscheidend auf das unbestritten hohe Ansehen der ersten Preisträger angekommen wäre. Althoff hatte keinen geringen Anteil daran, dass Deutschland um 1900 so viele wissenschaftliche Leistungen ersten Ranges aufzuweisen hatte. Wer wirklich verstehen möchte, wie der Nobelpreis zu dem wurde, was er ist, darf seinen Namen nicht übergehen.

Hubert Laitko

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