Zu Althoffs Zeiten war ein junger Mann vom Niederrhein nicht schlecht beraten, wenn er sich sein akademisches Rüstzeug von den Ufern des ihm von Kindesbeinen an vertrauten Stromes holte. Preußen hatte 1818 die Universität Bonn gegründet, um mit ihrer Hilfe seine nach dem Wiener Kongress gebildeten Provinzen Rheinland und Westfalen kulturell zu integrieren. Ausdrücklich sollte es eine Neugründung sein, die sichtbar für den politischen Neubeginn stand. Die alten Universitäten, die es in der weiteren Umgebung durchaus gab – Duisburg, Münster, Paderborn – , wurden im gleichen Jahr aufgehoben.

Als Friedrich – oder eher: Fritz, wie ihn auch seine Mitstudenten nannten – Althoff sich 1856 in Bonn einschrieb, da hatte seine Alma mater durchaus noch den Charme einer jungen Universität, an der weiterhin vieles im Werden war. Zugleich hatte sie wissenschaftlich schon einen guten Ruf. An der Juristischen Fakultät, die er wählte, hatten vor ihm Heinrich Heine und Karl Marx studiert. Lange nach ihm würde sich am gleichen Ort der junge Konrad Adenauer in die Gesetzestexte vertiefen.

Althoff war noch keine Achtzehn, als er in Bonn eintraf. Seiner Mutter in Wesel fiel es nicht leicht, ihn ziehen zu lassen. Doch sie fand sich damit ab, weil sie sah, dass sein Wohl es verlangte – „und welches Opfer würde mir dafür zu schwer?“ So steht es in einem ihrer erhalten gebliebenen Briefe, den sie kurz vor seinem achtzehnten Geburtstag am 13. Februar 1857 schrieb. Sein Leben lang bewahrte ihr Empfänger diese schlichten Briefe wie ein Heiligtum auf.

Zu allen Zeiten begleitet die Fürsorge, die Eltern ihren Kindern schulden, auch noch die erwachsenen Söhne und Töchter: „Laufe nur ja nicht Schlittschuh“. – „Vor allem gefällt es mir nicht, daß Du an deinen Mittags Eßen zu sparen gedenkst, Nein, mein lieber Fritz, eine gesunde und geregelte Mittagsmahlzeit ist durchaus nöthig und darauf muß ich ernstlich bestehen“. Die Mutter überlegte auch, ob sie ihrem Fritz mit ihren vielen Ermahnungen nicht vielleicht auf die Nerven ginge. Doch sie fuhr damit fort, denn sie hatte dafür den besten Grund der Welt: „…ich meine es wahrlich besser, als Du selbst mit Dir…“.

Seinen Studienverpflichtungen scheint Althoff, alles in allem, nachgekommen zu sein, wenn auch nicht gerade mit überdurchschnittlichem Fleiß. Er gönnte sich volle zehn Semester, eine zu jener Zeit für ein Jurastudium sehr auskömmliche Frist. Seinen Freundeskreis fand er im Corps Saxonia, einer studentischen Verbindung, die zu den farbentragenden (hellblau – weiß – schwarz) und pflichtschlagenden zählte. Wer ihr angehörte, musste sich auf dem Fechtboden beweisen, und Althoff soll ungeachtet seiner schon früh ausgeprägten Neigung zu einer „stattlichen“ Figur eine sehr gewandte Klinge geführt haben.

„Ich habe viel studentischen Unfug getrieben und stetige Beziehungen zum Carcer unterhalten…“ Das sind - rückblickend – seine eigenen Worte, und an denen wollen wir nicht zweifeln. Auch das Zeugnis eines Corpsbruders ist uns überkommen – hier eine Notiz von einem gemeinsamen Frühlingsausflug in das Ahrtal: „In Altenahr, wo wir übernachteten, brachte uns eine unter Leitung von Fritz Althoff auf dem Marktplatz bei Vollmondschein und ziemlichem Lärm aufgeführte Quadrille noch einen Konflikt mit den Nachtwächtern, der im übrigen harmlos endete“. Die „alte Burschenherrlichkeit“ – er hat sie in vollen Zügen genossen, als hätte er gewusst, dass sein späteres Leben nie wieder so leicht und so locker sein würde.

Die Saxonen haben ihn 1861, nach Studienabschluss, zum Ehrenmitglied ihres Corps ernannt. Von ihnen nahm er nicht nur herzerfrischende Erinnerungen an Kneipe und Mensur mit, sondern auch eine Mitgift, die schwerer wog: Zum Unterschied von vielen anderen Verbindungen hatten sich die Saxonen unbedingte religiöse und politische Toleranz auf ihr Panier geschrieben. Über alle Meinungs- und Bekenntnisunterschiede hinweg wollten sie ein Leben lang Freunde bleiben. Wenn Althoffs vielgerühmte Toleranz schon in Dinslakener Kindheitserlebnissen wurzelte – die Bonner Studentenjahre haben ihn in dieser Tugend sehr bestärkt.

Übrigens war er ein sehr standorttreuer Student. Nur einmal – im Herbst 1857, als an Rhein, Ahr und Mosel ein Jahrhundertwein reifte – hat er einen Abstecher in die preußische Hauptstadt gewagt, und der ist ihm nicht gut bekommen. Er geriet in einen Konflikt mit den universitären Obrigkeiten und kassierte nicht nur die üblichen zwei Wochen Karzer, sondern obendrein auch noch das consilium abeundi, den Verweis von der Universität. Wenige Wochen nach der Berliner Immatrikulation war er wieder im heimischen Wesel; mit einiger Mühe erreichte er immerhin, dass er im kommenden Frühjahr in Bonn weiterstudieren durfte.

Als er von den bevorstehenden Querelen noch nichts ahnte, schrieb er am 29. Oktober an Mutter Althoff einen Brief aus Berlin: „Wenn ich so das Leben in Berlin mit dem Leben in Bonn oder überhaupt mit dem Leben und Treiben am Rhein vergleiche, so fällt der Vergleich bedeutend zum Vortheil des rheinischen aus; hier sind die meisten Leute abgemergelt, man sieht ihnen die Folgen ihrer Sünden auf ihren bleichen Gesichtern abgebrandmarkt; dort Alles frisch und gesund“. Ein Berliner wird diese Zeilen mit gedämpfter Begeisterung lesen, einem rheinischen Gemüt aber schenken sie gewiss auch noch heute Freude und Genugtuung.

Hubert Laitko

logo