Straßburg war Althoffs Meisterschule. Hier absolvierte er, wie man später gesagt hätte, seine advanced studies. Er kam als ausgebildeter und im Justizdienst bereits erfahrener Jurist, doch als Neuling in Verwaltungssachen – und er ging als geschickter Praktiker der Wissenschaftsverwaltung, der den Universitätsbetrieb von innen wie von außen kannte, vom Schreibtisch des Verwaltungsbeamten ebenso wie vom Katheder des Hochschullehrers.
Die Wegleitung in das neue Arbeitsgebiet empfing er von zwei erfahrenen Verwaltungspraktikern, dem Oberpräsidenten von Möller und dem Universitätskommissar von Roggenbach. Ersterer war zunächst sein direkter Vorgesetzter. 1871/72 arbeitete er in der Verwaltung des Reichslandes als dessen Referent für Kirchen- und Schulangelegenheiten. Dabei erfüllte er zahlreiche auf den Universitätsaufbau bezogene Aufträge seines Chefs und trat so auch mit von Roggenbach in Verbindung. Die unmittelbare Zusammenarbeit mit diesem war allerdings auf einen kurzen Zeitraum beschränkt, denn nach der Eröffnung der Universität gab von Roggenbach im Mai 1872 sein Amt wieder auf – regulärer Kurator wollte er nicht werden. Dafür war diese Phase sehr intensiv, denn die Voraussetzungen für die Arbeitsaufnahme der Universität mussten in wenigen Monaten geschaffen werden. Alles, was Althoff von seinem hochschulpolitischen Mentor lernen konnte, eignete er sich in dieser Zeit an. Mit von Möller, der als Oberpräsident bis 1879 im Amt blieb, hatte er wesentlich länger zu tun. In ihm verehrte er, wie Sachse es ausdrückt, „den größten Meister der Verwaltungskunst, den er je kennengelernt hatte“. Später dachte er daran, von Möllers Biographie zu schreiben, doch es war ihm nicht mehr beschieden, diesen Plan auszuführen.
Die Errichtung einer deutsch orientierten Universität in Straßburg – einer „Reichsuniversität“ im „Reichsland“ – wurde politisch forciert. In einem schmalen Zeitfenster musste daher von den Bauten bis zu den Berufungen ein ganzes Bündel von Problemen simultan gelöst werden. Von Roggenbach ging dabei wohlüberlegt und zugleich völlig unbürokratisch vor. Sein Masterplan war in einem bereits im September, wenige Wochen nach seiner Ankunft, fertig gestellten und rund 60 Seiten umfassenden Bericht die Reorganisation der Universität Straßburg betreffend niedergelegt.
Diesem Bericht wiederum lag der Text eines externen Gutachters zugrunde. Der Philosoph Wilhelm Dilthey, damals gerade von Kiel nach Breslau berufen, hatte in seinem Entwurf zu einem Gutachten über die Gründung der Universität Straßburg die Frage erörtert, unter welchen Bedingungen angesichts der hohen Universitätsdichte in der deutschen und schweizerischen Nachbarschaft die Straßburger Anstalt überhaupt lebensfähig sein könnte: „Soll sie durch ihre Besetzung zur Concurrenz mit Heidelberg und Bonn befähigt sein – und ohne diese Fähigkeit verfiele sie von ihrer Geburt ab dem Siechtum bloß provinzialer Universitäten – so muß in der Gelehrtenwelt selber der Gedanke zünden, hier werde der Plan einer Universität von eingreifender Bedeutung für Wissenschaft und Unterricht verfolgt, welcher anzugehören, Ehre und Befriedigung verspreche, auch wenn man bisher in Heidelberg, Bonn, Breslau, Göttingen Ordinarius war“.
Genau dies war der springende Punkt: In Straßburg sollte nicht ein weiteres Exemplar des zur Genüge bekannten Universitätstyps entstehen, sondern eine anspruchsvolle Einrichtung mit innovativen Zügen und hoher Strahlkraft weit über Elsass-Lothringen hinaus. Das musste hier nicht, wie sonst oft, ein unerfüllbarer Traum bleiben. Zumindest in den ersten Jahren war das Reich zahlungsfreudig. So konnten die Planer in Straßburg großzügiger wirtschaften, als es einer durchschnittlichen Landesuniversität möglich war. Institutionelle Kreativität war gefragt und fand gebührenden Freiraum zu ihrer Betätigung.
Althoff wurde durch von Roggenbach nicht nur an zahlreichen Berufungsverfahren – dem Kernstück aller Hochschulpolitik – beteiligt, sondern sogar selbst zum Straßburger Hochschullehrer gemacht. Im Februar 1872, kurz vor der geplanten Eröffnung der Universität, fragte sein Mentor bei ihm an, ob er wohl geneigt wäre, einen Lehrstuhl für das französische Zivilrecht zu übernehmen, das in Elsass-Lothringen zu großen Teilen in Kraft geblieben war. Auch wenn er geltend machte, noch nie Vorlesungen gehalten zu haben, und darum bat, ihm einstweilen nur eine außerordentliche Professur zu geben, war die auf seine Zustimmung folgende Berufung Althoffs zum Extraordinarius eine Sensation: „Ungewöhnlich genug und vielleicht beispiellos in der neueren Geschichte der deutschen Universitäten war diese Verleihung einer Professur ohne irgendeine Promotions-, Habilitations- oder andere akademische Leistung“ (vom Brocke).
Das war die wohl wichtigste der in Straßburg empfangenen Lehren: In der Wissenschaft geht es immer um die besten Leute, nicht um jene, die die formellen Voraussetzungen am korrektesten erfüllen. Um die Besten zu bekommen, muss man gegebenenfalls auch Konventionen und Regeln brechen. Die Bereitschaft, das zu tun, gehörte fortan zu Althoffs Repertoire.
Hubert Laitko