Fünfzehn Jahre lang – mehr als die Hälfte seiner Dienstzeit im Kultusministerium – war Friedrich Althoff Hochschulreferent in der I. Unterrichtsabteilung. Neben ihm gab es in der ganzen weitläufigen Behörde nur noch einen weiteren Referenten, der für Universitätsangelegenheiten zuständig war: den Universitätsbaureferenten, dessen Kompetenz aber im Wesentlichen den Hochschulbau betraf und der mit den institutionellen und personellen Aspekten des Lehr- und Forschungsbetriebes nichts zu tun hatte. Um Althoffs lange sehr bescheidene Position in der bürokratischen Pyramide deutlich zu machen, wird gern darauf hingewiesen, dass er nur einer von 33 Vortragenden Räten war, über die das Ministerium damals verfügte.
Im ersten Jahrfünft bearbeitete er seinen vielseitigen Aufgabenbereich ganz allein. Dabei hatte schon sein Vorgänger Heinrich Goeppert erklärt, „daß die Last, die er getragen, keinem einzelnen mehr zugemutet werden dürfe“ (Sachse). Erst 1887 konnte er seinen ersten Hilfsarbeiter einstellen. Es war Arnold Sachse, den er einer Empfehlung aus Straßburg verdankte. Nicht nur geistige, sondern auch personelle Fäden verbanden Althoffs Berliner Tätigkeit mit jener Stadt, in der er seine ersten Sporen in der Wissenschaftsverwaltung verdient hatte. Unter allen seinen Mitarbeitern im Ministerium war Sachse derjenige, der ihn am längsten kannte. Diese Vertrautheit befähigte und ermächtigte ihn später, zu Althoffs erstem Biographen zu werden, dessen Zeugnisse für die Forschung noch immer unentbehrlich sind. Ein „Hilfsarbeiter“ im Ministerium war übrigens kein Aktenbote, sondern eine Person mit akademischer Ausbildung; dieser Sprachgebrauch klingt uns heute befremdlich, doch zu Althoffs Zeit war er durchaus üblich.
Erst fünfzehn Jahre nach seinem Eintritt in das Ministerium erfolgte ein deutlicher Karrieresprung. Als Ministerialdirektor Richard de la Croix aus seinem Amt ausschied, wurde Althoff ab 1. 1. 1897 kommissarisch mit der Leitung der I. Unterrichtsabteilung betraut, und im April wurde er selbst Ministerialdirektor und übernahm diese Aufgabe regulär. Damit verbunden war seine Ernennung zum Wirklichen Geheimen Oberregierungsrat. Im schwer überschaubaren Titeldickicht der wilhelminischen Zeit war dies der nächsthöhere Rang, der auf den Geheimen Oberregierungsrat folgte; letzterer war Althoff – damals jedoch ohne Veränderung seiner Dienststellung – bereits 1888 verliehen worden, aus Anlass der Thronbesteigung des liberalen deutschen Kaisers Friedrich III., der bis zu seinem frühen Tod nur 99 Tage regieren konnte. Im Jahre 1900 erweiterte sich sein Pflichtenkreis nochmals, als ihm auch der Vorsitz der gleichfalls zum Ministerium gehörigen Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen übertragen wurde.
Aber dieser Schritt bedeutete formal keinen weiteren Aufstieg in der Beamtenhierarchie, sondern nur einen Aufgabenzuwachs auf gleicher Ebene. Der Ministerialdirektor war die höchste reguläre Position, die ein Lebenszeitbeamter in einem Ministerium erreichen konnte. Darüber lagen nur noch die politischen Ränge – der Staatssekretär (im Kultusministerium: Unterstaatssekretär) und der Minister selbst. Auch in diese Dimension hätte Althoff aufsteigen können. Als der (1906 geadelte) Jurist Konrad Studt, Althoffs Korpsbruder aus Bonner Studententagen, 1899 das Ministeramt übernahm, bot dieser ihm die Position des Unterstaatssekretärs an. Auch für das Ministeramt wurde er in Erwägung gezogen. Diesen Möglichkeiten verschloss er sich bewusst – ebenso wie er eine Nobilitierung vermied, während er über seine Verbindungen manchem titelsüchtigen Professor zum begehrten „von“ im Namen verhalf.
Das sagt viel über seine Persönlichkeit. Es wäre aber wohl ein Stück zu kurz gegriffen, wollte man diesen Verzicht auf das Konto demonstrativer Bescheidenheit verbuchen. Aus der Sicht seines Lebensziels, Preußens und ganz Deutschlands Weltgeltung auf dem Feld der Wissenschaft nachhaltig zu fördern, kalkulierte er vollkommen rational. Als Minister wäre er ein Mann der Öffentlichkeit gewesen und hätte unzähligen Repräsentationspflichten nachkommen müssen; die dafür aufzuwendende Zeit hätte ihm für sein eigentlich konstruktives Wirken gefehlt. Zudem wäre sein Verbleiben im Ministerium von der politischen Großwetterlage abhängig gewesen. Solche Überlegungen mögen ihn veranlasst haben, nicht über die Stellung des Ministerialdirektors hinaus zu streben. Dafür begnügte er sich mit einer vergleichsweise bescheidenen Lebensführung, wie sie im wilhelminischen Establishment durchaus nicht die Regel war, und an seinem Lebensende war er kein vermögender Mann.
So wurde Althoff zu einer paradoxen Erscheinung in der wohlgeordneten Welt der preußischen Bürokratie, in der jeder sein exakt definiertes Aufgabenfeld pflichtgetreu zu beackern, aber niemand über die Grenzen seiner Befugnisse hinauszugreifen hatte. Lode Vereeck, der eine bemerkenswerte ökonomische Analyse des „Systems Althoff“ vorgelegt hat, sieht darin einen exzeptionellen Zug dieses Systems: Wenn die wesentlichen Reforminitiativen für die Wissenschaftsorganisation zwischen 1882 und 1907 von Althoff entworfen und auf den Weg gebracht wurden, so geschah dies „auf einer niedrigeren Ebene der Hierarchie, als es die Theorie der Bürokratie besagt; mithin verstieß es gegen die Regeln einer orthodoxen, hierarchisch aufgebauten Bürokratie, wie es die preußische Verwaltung war“. Ähnlich hatte es auch schon Sachse gesehen: „Wenn Althoff als Beamter auch nicht an oberster Stelle gestanden hat, so nahm er sie doch in Wahrheit ein. Er war die überragende Persönlichkeit im Kultusministerium. […] Es gereicht den Ministern und den Unterstaatssekretären und Ministerialdirektoren zum Ruhme, daß sie diesen außergewöhnlichen Mann ertragen konnten und schalten ließen“.
Hubert Laitko