„Althoff erreichte, ventilierte, förderte vieles und machte Geschichte, aber im Rahmen nicht selbst geschaffener Grundbedingungen“. Dieser Satz steht in einer neuen, exzellenten Übersichtsdarstellung zur Geschichte des preußischen Kultusministeriums, die Hartwin Spenkuch 2010 publizierte. Er ist sehr bedenkenswert, denn sowohl bewundernde Zeitgenossen, die sich Althoffs außergewöhnliche Erfolge nicht anders zu erklären vermochten, als auch Verfasser historischer Rückblicke neigten nicht selten dazu, das Werk dieses Mannes ins Unbegreifliche zu überhöhen und ihm „Allmacht“ oder gar „Dämonie“ anzudichten.
Indes war es Althoff ebenso wenig wie irgendeinem anderen Menschen gegeben, den Rahmen des zu seiner Zeit Möglichen zu überschreiten. Die Größe einer Persönlichkeit erwächst daraus, dass sie die Bedingungen ihres Handelns und die ihnen innewohnenden Chancen und Risiken früher und vollständiger erfasst, als es andere vermögen – und nicht daraus, dass sie sich über diese Bedingungen etwa bedenkenlos hinwegsetzt. Althoff verstehen heißt, ihn in seiner Zeit zu sehen, mit ihren Spielräumen und ihren Grenzen.
Die unmittelbare Basis seines Handelns, auf der er vom Herbst 1882 an wirkte, war das preußische Kultusministerium – genauer: das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Als Althoff in die Arbeitszusammenhänge dieser Behörde eintrat, hatte sie bereits eine 65jährige Geschichte hinter sich und verkörperte eine entsprechend gewichtige Tradition. Diese Tradition hatte er sich anzueignen, ehe er sie selbst prägen konnte. Preußen besaß das älteste Kultusministerium der Welt. Es bildete den Prototyp für ähnliche Gründungen in Deutschland: 1831 folgte das Königreich Sachsen, 1847 das Königreich Bayern, und erst dann kamen nach und nach die anderen deutschen Staaten. Unter der Leitung von Karl Sigmund Franz von Altenstein, der zum Kreis der preußischen Reformer zählte, war es 1817 errichtet worden. Die katastrophale Niederlage, die Preußen 1806 durch das napoleonische Heer zugefügt worden war, hatte eine Gruppe tatkräftiger Reformer auf den Plan gerufen, deren innovative Ideen teilweise weit über Preußen hinaus Geltung erlangten.
Eine Schlüsselrolle spielte dabei der Gedanke, dass eine durchgreifende Modernisierung Preußens nur durch eine umfassenden, alle Schichten der Bevölkerung einschließenden Aufschwung der Bildung und eine intensive Förderung der Wissenschaft gewährleistet werden könne und dass der Staat in der Pflicht stehe, die dafür nötigen Voraussetzungen bereitzustellen. Das Ministerium war als Instrument für die praktische Umsetzung dieser Idee gedacht. Die Idee selbst wurde schon ein Jahrzehnt früher zu Papier gebracht – in der Rigaer Denkschrift 1807, dem grundlegenden Strategiepapier der Reformer, das unter der Federführung von Karl August Fürst von Hardenberg entstand und an dem auch Altenstein mitwirkte.
Das Kultusministerium war nicht die früheste Form, in der die neue preußische Bildungs- und Wissenschaftspolitik eine institutionelle Gestalt fand. Seit 1808 gab es im Innenministerium ein Departement (Sektion) des Kultus und des öffentlichen Unterrichts. Die Bezeichnung „Kultus“ bezog sich dabei ursprünglich auf die „geistlichen Angelegenheiten“, das Verhältnis des Staates zu den beiden christlichen Großkirchen, und durchlief mit der Zeit eine schleichende Bedeutungsverschiebung in Richtung auf Bildung und Wissenschaft. Unzweifelhaft bedeutete die Konstituierung als eigenständiges Ministerium eine signifikante Aufwertung des ganzen Geschäftsbereiches und war, wie Wolfgang Neugebauer treffend bemerkt, „Indiz für eine neue kulturelle Schwerpunktsetzung der Staatstätigkeit“.
Nichtsdestoweniger war der wichtigste Ideengeber des Ressorts vor Althoff nicht Altenstein, sondern Wilhelm von Humboldt, der lange vor der Bildung des Ministeriums das Departement übernahm. Im Februar 1809 wurde er zum Sektionschef ernannt, schon sechzehn Monate später gab er, in seinem empfindlichen Selbstgefühl gekränkt, das Amt wieder auf, doch sein kurzes Wirken hinterließ eine unverlierbare Spur. Salopp ausgedrückt, waren es Humboldtsche Gene, die im Erbgut des späteren Ministeriums den wertvollsten Teil ausmachten. Sie waren manchmal verschüttet, aber niemals ganz verschwunden. An ihnen, und nicht an den Routinen subalterner Beamter, musste sich Althoff messen lassen, und er stellte sich der Herausforderung. Wie ein hell leuchtender Meteor war Humboldt über das Firmament der preußischen Bildungs- und Wissenschaftspolitik gezogen. Althoff aber blieben 25 Jahre Zeit, um Humboldts Vermächtnis in die Verhältnisse der wilhelminischen Ära zu transformieren.
Hubert Laitko